LIVE NIRVANA INTERVIEW ARCHIVE November 1, 1989 - Rotterdam, NL

Interviewer(s)
Sebastian Zabel
Interviewee(s)
Kurt Cobain
Krist Novoselic
Publisher Title Transcript
Spex Sweet wie Honig: NIRVANA Yes (Deutsch)

Nochmals Seattle, SubPop, aber die süße Variante. Diese Band wird die Pixies der 90er, die Dinosaur jr. der nächsten Woche - sie hat alles, was Kehle und Magen brauchen und ißt ihre Würstchen am liebsten al dente, Rock-Sex-Dance by Sebastian Zabel.

Aus einem Friseursalon in Aberdeen, einem Kaff an der Pazifikküste im Nordwesten der USA, dringen dumpfe Töne auf die menschenleere Straße. Vor kaum einer halben Stunde hat Mrs. Novoselic ihren Laden geschlossen und die Jungs ermahnt nicht wieder so laut zu sein. Einer von ihnen ist Chris, ihr Sohn. Er ist fast zwei Meter lang und trägt einen merkwürdig schmalen Bart, der von den Ohrläppchen abwärts unter dem Kinn entlangläuft. Er hat schon alle Arten von Bärten und Koteletten getragen, nur einen Schnäuzer würde er sich nie wachsen lassen. Eher ließe er sich einen Kühlschrank auf den Rücken tätowieren. Denn Chris Novoselic ist Bassist in einer Rockband. Ein paar Monate hat er als Fischer in Alaska gearbeitet, bevor er nach Aberdeen zurückkehrte und mit Kurdt Kobain Nirvana gründete. Das war vor ungefähr drei Jahren. Zu der Zeit lernten sie auch Dale Crover, den Drummer der Melvins, kennen, die ebenfalls aus dieser Gegend stammen und geniale 50-Sekunden-Zeitlupen-Metal-Stücke spielen. Er produziert die erste Nirvana-Single und sitzt auch sonst des öftern hinterm Schlagzeug, wenn die Band durch Washington tourt. Es vergeht ein Jahr, bis Nirvana mit Chad Channing einen festen Drummer und mit Jason Everman einen zweiten Gitarristen finden.

Als sie in Mrs. Novoselics Friseursalon neue Stücke probieren, ist es kaum ein paar Tage her, daß Jack Endino, Hausproduzent des Sub-Pop-Labels, bei Kurdt anrief, um mitzuteilen, daß er gerne eine LP mit ihnen aufnehmen würde. Wir lebten seit einiger Zeit in Seattle, erzählt Kurdt, hatten aber weder einen Übungsraum noch genügend Songs zusammen. Wir fuhren also zu Chris Mutter nach Aberdeen, des ungefähr hundert Meilen westlich von Seattle liegt, und sie gab uns drei Tage. In dieser Zeit schrieb ich sieben der elf Songs für 'Bleach'.

POP

Kurdt Kobain ist ein kleiner, blonder Kerl mit dünnen Lippen, und im Gegensatz zu dem kumpeligen Chris Novoselic, ein launischer Zyniker. Die Fotosession ist ihm unangenehm, daß er auf einen Barhocker klettern soll, um den Größenunterschitd zu Chris auszugleichen, fast unerträglich. Er tut es wortlos, doch man sieht, was er denkt. Als wir später in einer Kneipe in Rotterdam, wo sie am Abend spielen sollen, zusammensitzen, versucht er, die Klasse von 'Bleach' etwas zu relativieren. Unkokett und sehr ernsthaft nörgelt er an seiner eigenen Platte herum, findet sie ein bißchen zu heavy und ein bißchen zu brahra, um Jack Endino schließlich zu bestätigen, dennoch einen guten Job gemacht zu haben. Sie seien halt etwas unvorbereitet gewesen.

Damit wir uns verstehen: 'Bleach' ist eine saugute LP und Nirvana next year's Mudhoney. Vielleicht werden sie berühmt wie die Pixies, wer weiß es. Denn Nirvana sind nicht nur eine weitern gute Ami-Band in der Reihe guter Ami-Bands, die SPEX euch Monat für Monat unter die Nase reibt, sie sind darüber hinaus eine gute Lieblingsband. Sie verabreichen dir genau die Dosis an Härte und Gitarrensauerei, die du ertragen kannst, wenn du kein ausgesprochener Freund von harten x-Core-Bends bist und als l4jähriger eher Talking Heads als AC/DC oder eher Tuxedomoon als Cockney Rejects gehört hast. Klar, heute sind wir alle klüger. Aber zumindest Kurdt Kobain ist genau jener durch College-Radios geprägte, kultivierte Amerikaner, der das Pendant zu dem New-Wave-Gymnasiasten der frühen 80er unserer Breiten darstellen könnte. Eigentlich höre ich lieber Young Marble Giants als Heavy Metal, sagt er und wird leicht säuerlich, als ich ihn nach seiner Definition von Grunge frage. Das ist doch nichts als ein Etikett, Mann. Das kriegt eben jede Band aus Seattle verpaßt, die Powerchords, Distortion und einen harten Beat hat. In England nennen sie es Hardcore…

SEXY

Auch bei den Aufnahmen zu 'Bleach' war Dale Crover im Studio. Der Einfluß der Melvins auf die Bands des Nordwesten ist nicht hoch genug einzuschätzen und bei Nirvana oft genug zu hören. 'Negative Creep' zum Beispiel, ein Song, von dem Kurdt erzählt, er habe sich selbst damit charakterisieren wollen, der mit der Schwere eines Amboß auf den Schädel trifft. Neben Green River und Soundgarden bildeten die Melvins Mitte der 80er Jahre den Kern der Szene Seattles. Aus Green River und Matt Lukin, dem Bassisten der Melvins, wurde Mudhoney. Dale Crover trommelte wie gesagt eine Zeitlang bei Nirvana, während deren Gitarrist Jason Everman vor einem Monet hei Soundgarden einstieg.

Heute sei Sub Pop nur noch eine Szene neben vielen, sagt Kurdt. Klar, in Seattle leben auch Chemistry Set, Sanctuary und Guns'n'Roses. Und warum sind Nirvana auf Sub Pop? Man weiß es nicht. Zufall, meint Chad lakonisch. Man kennt sich Downtown Seattle.

SPEX: Und wie ist Jack Endino?

Kurdt: Er ißt ständig Schokoriegel, Öl-Sardinen und Kartoffelchips - durcheinander.

Der fette, klar-strukturierte Nirvana-Sound, der weder von störenden Obertönen, noch pussierlicher Distortion durchsetzt ist, sondern einfach als sinnliches Muskelpaket daherkommt - das ist Trash-Pop, big sebi sex, you know. Drei (ehedem vier) Jungs aus dem amerikanischen Nordwesten, die cool genug sind, göttliche Angeber-Riffs zu spielen, und nur, wenn es thematisch unumgänglich ist, ein bißchen den Sensiblen raushängen lassen ('About A Girl' eben). Aber - Kurdt Kobain will partout nichts davon wissen, läßt mich am ausgestreckten Arm verhungern und schwärmt tatsächlich von den Buzzcocks.

Manchmal denkt ich, grübelt Kurdt mit aufgestütztem Kinn, unsere Musik ist vielleicht Dance-Rock oder sowas.

Als sie dann spät am Abend in diesem viel zu großen Club in Rotterdam loslegen, Kurdt mit haarverhangenem Gesicht und der sexiesten Stimme, die ich seit Ewigkeiten gehört habt, einem trockenen Fauchen, das schlicht aus der Lunge und nirgendwo sonst (Seele etwa) herkommt, nachdem sie mir ein paar Stunden zuvor alle Illusionen, wir hätten es bei Nirvana mit taffen Beißern zu tun, geraubt hatten, weiß ich wieder, worum ich sie mehr als alle anderen Bands zwischen Portland und Tucoma schätze. Sweet, sweet music, wie Honig. Süß und zäh rutscht das die Kehle runter und wärmt den Magen (nicht die Seele). Und jetzt, live, auf der Bühne, wird auch deutlicher, was Nirvana unter Pop verstehen. Nicht nur, daß Chris ein wirklicher Baß-Kasper ist, auch der maulfaule Chad und Songwriter Kurdt entwickeln echte Entertainer-Qualität. Meine Freunde sagen, ich sei zu negetiv, erzählt Kurdt, doch im Grunde bin ich nur amüsiert über vieles, das ich lächerlich finde. Ich habe einen permanenten, schwarzen Humor. Im Kern sind Nirvana-Songs gutgelaunte Dinger. Auch wenn sie wie ein fetter Prahlhans die Faust ballen. Sweet Seattle Sex. Ich liebe es.

Chris: Unsere Songs klingen tief und schwer, weil wir sie so spielen. Außerdem hängt es allein schon mit der Instrumentierung zusammen. Mit Akustikgitarre und Orgel klängen sie sicherlich leichter, es wären aber dennoch die gleichen Songs. Wir sind eine Songwriter-Band mit einem eher traditionellen Verständnis von Popsong.

Kurdt: Wir wollen Platten machen, denen du zuhörst, nicht nur Platten, zu denen du abrockst. Also keine Platte, wo man die Nadel überall absetzen kann, und es wird immer ein harter, schneller Rock'n'Roll-Sound sein.

SPEX: Glaubst du, daß 'Bleach' diese Vielseitigkeit hatte?

Kurdt: Auf ihre eigene Art schon.

Auf ihre eigene Art sind Chad, Chris und Kurdt liebenswerte Jungs, denen man ruhig seine minderjährige Tochter anvertrauen kann. Schließlich wohnen sie nicht von ungefähr 4710 University Way.

Und vielleicht bringen Chad, Chris und Kurdt Mrs. Novoselic eine Kuckucksuhr aus Europa mit, wenn sie sie mal wieder zuhause in ihrem Friseursalon in Aberdeen, das hundert Meilen westlich von Seattle an der Pazifikküste liegt, besuchen. Man kann dort wunderschön spazierengehen, versichert Chris.

© Sebastian Zabel, 1989